...

Fehlgeburt – wenn plötzlich etwas fehlt

„Sie sind ja gar nicht schwanger! Da ist gar nichts, was haben Sie sich denn so?“

Ich liege mit starken Blutungen auf dem Untersuchungsstuhl. Der diensthabende Arzt spricht Richtung Ultraschallbild. Ich weine.

Eigentlich weine ich seit ich im Wartezimmer sitze. Kann gar nicht mehr aufhören. Vor acht Wochen hatte ich einen – ehrlich gesagt zwei – positive Schwangerschaftstests in der Hand. Wir hatten uns gefreut. Sehr! Die Hebamme informiert, einen ersten Termin bei der Gynäkologin vereinbart. Und dann nach acht Wochen der Vorfreude, der guten Hoffnung, des Ausmalens, wie es wohl sein wird, plötzlich das. Starke Blutungen. Alarm. Der Versuch, mich zu beruhigen. Vielleicht ist ja doch alles gut. Aber immer wieder pure Angst um das Baby. Hoffentlich verabschiedet es sich nicht! Und dazwischen ein Ahnen, dass genau das vielleicht grad passiert.

Ich liege halb nackt auf dem Untersuchungsstuhl, die Tränen fliessen, ich schluchze, kann gar nicht mehr richtig sprechen. Versuche, dem Arzt zu widersprechen: „Ich bin schwanger! Ich habe vor zwei Monaten einen positiven Test gehabt!“ Er zuckt mit der Schulter und meint, während er die Untersuchung abbricht: „Da haben Sie sich wohl getäuscht.“

Angst, Trauer, Entsetzen, Enttäuschung, Wut – so viele starke Gefühle, die einen überwältigen können, wenn eine Schwangerschaft in einem Verlust endet. So viele oft gut gemeinte Aussagen, die weder hilfreich noch empathisch sind, wie: Sei doch froh, dass es so früh passiert. Das war ja noch gar kein richtiges Baby. Vielleicht ist es besser so. Macht einfach ein neues Kind. Das passiert ganz vielen!

Ja. Aber ich bin nicht viele. Ich bin ich. Und das ist mein Kind. Von dem ich geträumt habe. Ich mir schon Namen überlegt habe. Wie der nächste Sommer wohl werden wird, wenn ich dann mit meinem Baby im Wald spazieren gehe.

„Es ist einfach traurig!“, hat meine Hebamme damals zu mir gesagt.

Dieser ehrliche Satz hat mir wirklich gutgetan. Und hallt auch einige Jahre nach dieser furchtbaren Untersuchung positiv in mir nach. Auch eine frühe Fehlgeburt ist ein Verlust. Ob die Umgebung das aushält oder nicht. Tränen gehören dazu. Sie sind wie Schweisstropfen der Seele. Wenn die Anstrengung zu viel wird.

Es ist normal und wichtig, diese Gefühle zu erleben und zuzulassen. Sie sind wichtige Wegmarkierungen, die mir weiterhelfen. Die mir das Erlebte verdaulich machen. Ich muss es in mein Leben integrieren. Muss Kraft zum Weitermachen haben. Und dann vielleicht irgendwann brauche ich die Kraft, um wieder guter Hoffnung sein zu können. Der Gesundheitswissenschaftler Brad Stulberg beschreibt, dass unser Wunsch nach Ruhe und dass alles immer glatt läuft, ein Irrglaube ist. Im Durchschnitt durchlaufen Erwachsene 36 sogenannte disorder events, Ereignisse, die unseren Alltag auf den Kopf stellen. Eine Fehlgeburt kann ein solches Ereignis sein. Wir brauchen dann eine „robuste Flexibilität“, wie es Stulberg nennt. Oder Resilienz, emotionale Widerstandsfähigkeit, wie wir es auch nennen können. Eine innere Haltung, die diese Veränderung, die das Ereignis in mein Leben gebracht hat, akzeptiert. Um dahin zu kommen, helfen Zeit, Gespräche, eine neue Perspektive auf uns selbst.

Wir sind nach einem tiefgreifenden Ereignis verändert.

Immer. Und wir können auch wieder zu innerer Stabilität finden.

In der ersten Zeit des Schocks über den Verlust ist es wichtig, Gefühle zuzulassen. Da ist oft auch der Partner sehr herausgefordert. Er hat das Baby nicht in sich getragen. Hat nicht die ganzen körperlichen Symptome der Hormonumstellung am eigenen Körper erfahren. Konnte das Kind noch nicht von aussen wahrnehmen. Es hilft, wenn beide sich bewusst sind, dass sie in dieser Zeit nicht immer genau gleich ticken. Im Gespräch bleiben und anerkennen, wie es der/dem anderen geht, das schafft Verbindung.

Der Sozialpsychologe Ethan Kross hat aufgrund seiner Forschungen einen guten Hinweis für Zeiten der Krise: Betrachten wir das eigene Erleben aus der Entfernung, in dem wir uns selbst zum Beispiel einen Brief schreiben wie: „Liebe … ich glaube, du bist wirklich gerade sehr traurig und wütend über den Verlust deines Babys.“ Dadurch erhöht sich die Bereitschaft, die nächsten anstehenden Aufgaben anzugehen oder einfach nur weiterzumachen, um ein Dreifaches. Und auch unser Herz-Kreislauf-System wird dadurch entlastet. Es hilft Paaren zu mehr Verständnis füreinander, diese Zeilen auch auszutauschen.

Wieder schwanger zu sein nach einem Verlust ist eine grosse Herausforderung. Kann ich vertrauen, mich freuen? Wird das Baby bleiben? Auch da helfen Zeit und Ehrlichkeit. Unser Gehirn beginnt nach zwei Wochen, sich an eine neue veränderte Situation anzupassen. Nicht alles fühlt sich so schnell gut und sicher an, wenn ich wieder schwanger bin. Aber mit Geduld kann ich in das Vertrauen finden. Auch wenn die Gleichzeitigkeit von Sorge und Hoffnung mich begleiten werden. Ach ja, die Ehrlichkeit. Mir selbst, dem Partner und dem werdenden Baby gegenüber. „Ich freue mich auf dich. Und manchmal bin ich in grosser Sorge, ob alles gut mit dir ist. Das ist meine Sorge und ich kümmere mich darum. Du darfst weiterwachsen und spüren, dass wir dich lieb haben.“

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Daniela Niedermayr-Mathies

Daniela Niedermayr-Mathies ist Beraterin im Team schwanger.li in Feldkirch. Sie ist Diplomsozialarbeiterin, systemische Beraterin und Bindungsanalytikerin (nach Hidas und Raffai). Das Erleben ihrer eigenen Fehlgeburt beschreibt sie am Anfang des Artikels.

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